Im Jahre 1944 begingen die deutschen Wehrmachts-Elitesoldaten der Division Hermann Göring Massaker in den Apenninen, weit von der Front entfernt. Am 18. März 1944 massakrierten diese Truppenteile in den Dörfern Monchio, Savoniereo, Castrignano und Susano 137 Menschen: Kinder, Frauen, Männer. Einer der Täter war Alfred Lühmann. Er wurde in einem Prozess in Italien zu dreimal lebenslänglich verurteilt. Im letzten Jahr (2018) verstarb er in Ohrensen bei Harsefeld – uneinsichtig und unbelehrbar. Bis zum Schluss wohlversorgt in Deutschland und unbehelligt von der Justiz in Deutschland.
Amando Tincano war 1944 ein kleiner Junge, der zusehen musste, wie sein Vater und sein Onkel erschossen wurden. Er berichtete uns darüber vor 5 Jahren in Buxtehude bei einer Veranstaltung des Rosa Luxemburg Clubs Niederelbe. Amando und sein Sohn Roberto waren auf Einladung der Rosa Luxemburg Stiftung Niedersachsen einige Tage in Deutschland.
Jetzt trafen wir die beiden wieder, in Italien. Michael, Oliver, Silvia und ich vom Club durften an den Gedenkfeiern zum 75. Jahrestag teilnehmen – auf vorsichtige Anfrage bei der Gruppe der Nachkommen der Opfer. Und wie herzlich wurden wir aufgenommen! Roberto, der die Gruppe der Nachkommen vertritt, organisierte und leitete unseren Besuch: freundlich, fürsorglich und perfekt!
Am Freitagvormittag (15.3.) besuchten wir das kleine beeindruckende Museum der Resistenza in Montefiorino. Unter welchen Bedingungen und Entbehrungen die Frauen und Männer des Widerstandes gegen die Wehrmacht kämpften wird eindrücklich dargestellt. Kälte, Hunger, schlechte Ausrüstung … man schaudert noch, wenn man aus den dunklen Gemäuern dort wieder ins Sonnenlicht tritt.
An einem Kreuzweg (via crucis) der Kirchengemeinde Castrignano nahmen wir am Freitagabend teil. Die Stationen des Wegs dienten auch der Verlesung der Namen der Opfer der Massaker. Ich ging mit einer Kerze am Ende des Zuges und sah immer wieder bewegte und trauernde Gesichter. Auch jetzt beim Schreiben kommen mir wieder die Tränen, so erschüttern diese Momente.
Am Samstagmorgen wurde ein kleines Gebäude, genannt „la buca“, eingeweiht, dass dem Gedenken besonders auch der leidtragenden Frauen dienen soll. Gelder aus verschiedenen italienischen Institutionen waren dafür geflossen und auch welche von der Bundesrepublik Deutschland. Egal, am Ende sind es alles Euro wie es sich für einen solchen Zweck gehört. Zahlreiche Honoratioren und Offizielle waren da, die Angehörigen und viele, viele Schulkinder, welche besonders zur Feier beitrugen. Nachdem wir unsere Blumen vom Club niedergelegt hatten, bedankten sich Menschen bei uns; es war herzzerreißend.
Den Parco Santa Guilia mit den „Sculture per la Resistenza“ besuchten wir am Sonntagvormittag. Ein alter Mann erzählte uns unter Tränen von seinem Vater, der erschossen wurde. Wehrlos waren die Menschen in diesem Tal; die Leidtragenden sind bis heute ihre Angehörigen.
Es gibt auch ein Infomationscenter, das über die Region früher und heute informiert, ebenfalls über die begangenen Verbrechen. Junge Leute organisieren dort Veranstaltungen, z.B. gab es ein Treffen mit MigrantInnen, die in der Region leben.
Danach nahmen wir an der Gedenkfeier der Anghörigen, der jungen Leute und der Grundschulkinder im Dorf Monchio, am „campo della neve rossa“, dem Feld des roten Schnees, dort wo die Männer des Dorfes ermordet worden waren. Die Kinder hatten Bilder gemalt, lasen Texte vor, wie sie sich die Welt wünschen, sangen. Das Lied zum 18.März, welches ein Künstler extra komponiert hat, trugen drei Frauen zur Gitarre vor. Die Kinder enthüllten den „Baum des Lebens“. Michael und Silvia legten unsere Blumen nieder. Es gab Beifall und Dankesworte. Wir hörten von Roberto, dass im Vorfeld nicht alle in Monchio mit unserem Besuch einverstanden waren.
Zum Mittag sind wir eingeladen bei Luchiana und Amando! Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, die Primeln blühen und ein roter Kater beschmust uns. Vor 75 Jahren war es kalt, es lag Schnee. Amando zeigt uns den Hang, an dem der deutsche Wehrmachtssoldat auftauchte und seinen Vater und seinen Onkel erschoss. Und doch zeigen uns seine klugen Augen und seine bedächtige Art Willkommen und Freundschaft. Hauptsächlich sind seine Frau Luchiana und Tante Lia für die köstliche Bewirtung verantwortlich. Dagmar aus Monchio (und Nürnberg) ist dazugekommen und übersetzt unermüdlich. Sie arbeitet im Bereich ökologischer und nachhaltiger Agrarproduktion und erzählt von antifaschistischer Arbeit in der Region. Chiara die Grundschullehrerin aus Monchio, und Max sind aufgetaucht, haben Interessantes aus politischer Arbeit zu berichten. Max erzählt, dass er sein Leben einem Deutschen verdankt: seine hochschwangere Großmutter sollte auf Geheiß eines italienischen Faschisten von einem Wehrmachtssoldaten erschossen werden. Dieser weigerte sich und sagte, er würde keine Schwangere erschießen.
Wie an vielen Punkten unserer Reise lernen wir auch hier wieder interessierte und interessante Menschen kennen. Und zudem lernen wir, dass ein Sonntagsessen in Italien sich sehr lang hinziehen kann, mit Austausch, Lachen und politischen Debatten, und viel Wein!
Für mich ist das Fazit: Der Kampf gegen den Faschismus und den Rechtspopulismus hat keine Grenzen. Die Vergangenheit nicht vergessen, nicht nur Gedenken, sondern aus der Geschichte lernen und handeln, das ist das Credo Robertos. Auf den Schleifen unserer Blumengebinde steht: Nichts ist vergessen und niemand. Gut, dass wir diese Fahrt gemacht haben, stellvertretend für viele, denen das Nicht-Vergessen, internationales Denken und der Kampf gegen Rechts wichtig ist.
Uta Kretzler im März 2019