Dokumentation Bericht der Jugendgedenkstättenfahrt zu den vergessenen Mordlagern des Holocaust

Im Mittelpunkt unserer fünftägigen Gedenkstättenfahrt nach Ostpolen stand die Beschäftigung mit den weitgehend unbekannten Orten und Geschehnissen um die „Aktion Reinhardt“. Im Laufe unseres Aufenthalts besuchten wir verschiedene Stätten, die mit dem Mord an der jüdischen Bevölkerung verbunden sind, unter anderem die Gedenkstätten Majdanek, Belzec und Sobibor.

Information

Zeit

16.07.2022 - 23.07.2022

Themenbereiche

Jugendbildungsveranstaltungen, Bildungsreisen, Jugendbildung

Im Mittelpunkt unserer fünftägigen Gedenkstättenfahrt nach Ostpolen stand die Beschäftigung mit den weitgehend unbekannten Orten und Geschehnissen um die „Aktion Reinhardt“. Im Laufe unseres Aufenthalts besuchten wir verschiedene Stätten, die mit dem Mord an der jüdischen Bevölkerung verbunden sind, unter anderem die Gedenkstätten Majdanek, Belzec und Sobibor.

Unsere Unterkunft befand sich in der Stadt Lublin, wo vor der deutschen Besetzung Polens über 40.000 Jüdinnen und Juden lebten. Eine wichtige Rolle spielte auf der Reise das Kennenlernen der authentischen Orte, die Geschichte der Vernichtungslager und ihre Einordnung in das System der Vernichtung des NS-Staats. Aufgeworfen wurde aber auch die Frage, wie sich eine Gedenkkultur entwickelt hat und wie heute an den Massenmord erinnert wird.

An der Reise nahmen 20 junge Menschen aus ganz Deutschland teil, die sich mit den Geschehnissen rund um die „Aktion Reinhardt“ aber auch mit dem Beginn des industriellen Massenmords aktiv beschäftigen wollten.

Bereits am 15. Juli kamen die Teilnehmenden zu einem Vorbereitungsseminar in den Räumlichkeiten der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin zusammen. Neben weiteren organisatorischen Fragen widmeten wir uns tiefergehend dem Thema Nationalsozialismus und Vernichtung der Jüdinnen und Juden im Distrikt Lublin. Grundlage hierzu war ein eigens erstellter Reader, der von der RLS im Vorfeld an die Teilnahmenden verschickt wurde. Darin fanden sich weitergehende Informationen zu den einzelnen Lagern und kleine Zeitzeugenberichte. Durch die Handreichung sollten die Teilnehmenden auf die Themen der Reise vorbereitet werden – dazu gehört neben der Frage der Täterschaft auch die Fragen heutiger Erinnerungskultur und -Politik: vor Ort aber auch in der eigenen Nachbarschaft.

Steffen Hänschen, Mitarbeiter Bildungswerk Stanislaw Hantz e.V. und Reiseleiter konnte viele Fragen der Teilnehmenden auf dem Seminar beantworten und einzelnen Punkte der Reise nochmal genauer besprechen. So konnten Sorgen aber auch Unsicherheiten genommen werden, die Gruppe lernte sich in aller Unterschiedlichkeit bereits hier kennen und fing an sich gegenseitig bei Fragen zu unterstützen.

Im Anschluss an den inhaltlichen Slot besuchten wir einen Stadtspaziergang der Stiftung für die ermordeten Juden Europas in der Berliner Innenstadt. Auf diesem Spaziergang thematisierten wir gemeinsam das Thema Erinnerungskultur indem wir die Denkmäler für die ermordeten Jüdinnen und Juden aber auch das für die Homosexuellen, Sinti*zze und Rom*nja aber auch das der Opfer der T4 besuchten. An jedem dieser Denkmäler sprachen wir sowohl über die Opfergruppen, für die sie errichtet wurden – aber auch über die Fragen: Wann ist das Denkmal entstanden? Welche Debatten gab es um die Errichtung des Denkmals von Seiten der Politik aber auch von Seite der Zivilgesellschaft oder Opferverbände? Wie ist das Denkmal gestaltet? Ist es verständlich und vermittelt es wissen? Welches Denkmal fehlt euch?
Da die vier Denkmäler sehr unterschiedlich sind, gab es viele Diskussionen und Gespräche in der Runde auf dem Spaziergang.  

Bei der abschließenden Feedbackrunde und dem Abendessen konnten wir in Ruhe einmal mehr über den Tag aber auch über die Reise am nächsten Tag sprechen. Dabei stellten wir fest, dass die inhaltliche Vorbereitung notwendig war und viele Teilnehmenden sich nun sicherer fühlten im Umgang mit den Orten und sich deutlich vorbereiteter fühlten. Steffen Hänschen und Anika Taschke, Referentin Neonazismus und Strukturen / Ideologien der Ungleichwertigkeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, begleiteten die Gruppe den ganzen Tag und standen für alle Fragen zur Verfügung. Einige konnten dabei in den Pausen des Tages und beim Rundgang durch den Berliner-Tiergarten auch individuell geklärt werden.

Vor, zwischen und nach den jeweiligen Seminaren und Treffen mit Teilnehmenden sprachen wir im Kreis der Organisator:innen über die Reiseplanung, mögliche weitere inhaltliche Schwerpunkte und den Umgang / die Betreuung mit den Teilnehmenden.

Die Reise selbst begann am frühen Morgen des 16. Juli problemlos mit der Zugfahrt nach Lublin. Mit leichter Verspätung kamen wir am Ziel an und konnten in der Unterkunft noch etwas Essen, Betten verteilen und den nächsten Tag vorbesprechen.

Die Woche hatte einen chronologischen roten Faden. So begann der erste Tag mit einer Orientierung in der Stadt Lublin. Durch zwei Rundgänge – einmal dem jüdischen Lublin und Ghetto und einmal mit der Stadt der Täter – konnten die Teilnehmer:innen erste weitere Informationen erhalten, bekamen ein Gefühl für die Größe der Stadt und sahen authentische Orte des Ghettos aber auch Wohnhäuser und Arbeitsorte von Tätern. Durch die Spaziergänge wurde zudem schnell deutlich, wie nah die nicht-jüdischen Einwohner:innen am Ghetto lebten.

Durch historische Fotos, Zitate, Augenzeugenberichte und Biografien einzelner Personen wurden die Stadtrundgänge visualisiert. Die Teilnehmer:innen unterstützen die Arbeit der Begleitpersonen indem sie selbst Auszüge vorlasen. Dieses Dreieck aus Biografien, Berichten und historischen Fotos von den authentischen Orten an den wir nun heute standen, zog sich durch die gesamte Reise und machte die Geschichte etwas greifbarer aber auch lebendiger und nahbarer – Personen bekamen Gesichter und eine Stimme. Aber auch die Täter:innen-Biografien ergaben während der Reise ein komplexes Bild von Motivation und Teilnahme am Holocaust.

Am zweiten Tag besuchte wir sowohl das Transit-Ghetto „Alter Flugplatz“ als auch die KZ-Gedenkstätte Majdanek. Während am "Alten Flugplatz“ heute nichts daran erinnert, was hier vor über 70 Jahren geschah, konnten die Teilnehmer:innen in der Gedenkstätte Majdanek sowohl den historischen, originalen Ort kennenlernen und erkunden aber auch heutige Erinnerungskultur in Form von Denkmälern, Ausstellungen und Erinnerungstafeln erleben. Die geführte Tour durch die Gedenkstätte ermöglichte es der Gruppe darüber hinaus Fragen zu stellen und komplexe Zusammenhänge gemeinsam zu erlernen.

Nach dem Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers besuchte wir am dritten Tag Izbica – ein Ort in dem früher hauptsächlich jüdische Einwohner:innnen lebten und das dann während der deutschen Besatzung als Transit-Ghetto fungierte. Durch das Vorlesen persönlicher Briefe, Berichte und das Zeigen von Fotos konnte sich die Gruppe dem Ort, in dem heute nur noch sehr wenig auf das Schicksal der vielen Jüdinnen und Juden hinweist, nähern. Auch hier spielten insbesondere Fragen heutiger Erinnerungspolitik und -verantwortung eine Rolle.

Nach den Tagen Rund um Ghettos, Transit-Ghettos, Zwischenlager und Konzentrationslager folgten zwei intensive Tage in Belzec und Sobibor – zwei Vernichtungslager der Aktion Reinhardt. Über die Täter der Lager hatte die Gruppe seit dem Vorbereitungsseminar in Berlin bereits viel gehört. Insbesondere die Rolle der Täter der T4 aber auch die Trawniki-Männer spielten im Besonderen eine Rolle. Aber auch über die Jüdinnen und Juden, die in die Lager gebracht wurden, sprachen wir im Vorfeld bereits viel. Der Ablauf der Reise vollzog in gewisser Weise einen ähnlich Weg nach. Doch die Besuche der Orte Belzec und Sobibor waren trotz Vorbereitung emotionale Besuche. Durch die wenigen Berichte Überlebender und durch Fotos aus der Niemann-Sammlung konnten der Lageralltag aber auch das Grauen der Orte dargestellt werden, selbst wenn vor Ort nicht mehr viel daran erinnerte. In jedem Fall bleib Zeit für die Besuche in den Museen, Zeit für das eigene Erkunden der heutigen Gedenkstätten und für viele Fragen, um die Verbrechen und ihr immenses Ausmaß zu verstehen.

An jedem Abend der Woche nutzen wir mindestens zwei Stunden für eine ausführliche Reflexionsrunde und Nachbereitung – aber auch für eine Vorbereitung auf den kommenden Tag. So konnten noch ungeklärte Fragen beantwortet und Diskussionen geführt werden. Auch konnten sich die Teilnehmer:innen, durch das Besprechen des nächsten Tages, auf das weitere Programm inhaltlich vorbereiten.

Die Betreuer:innen besprachen sich außerdem täglich, um Besonderheiten im Programm durchzugehen und akute Probleme zu lösen.

Insgesamt ging der Programmplan sehr gut auf. Die Tage bauten aufeinander auf und konnten die verschiedenen Wissensstände gut zusammenführen. Auch methodisch ergab das Zusammenspiel aus Fotos, Berichten, Biografien, den authentischen Orten und das Besuchen von Denkmälern ein beeindruckendes Bild. Die abendlichen Auswertungsrunden waren fest im Programm eingeplant und wurden auch stark eingefordert. Insgesamt waren die Tage sehr lang, aber die Busfahrten und genügend Pausen ermöglichten es allen zwischendurch durchzuatmen. Wichtig und besonders positiv hervorzuheben ist, dass wir den Teilnehmer:innen an den Orten der Vernichtung (wie bspw. Den Gaskammern) Raum gaben und es ihnen offen ließen in die jeweiligen Räume zu gehen.

Zur Nachbereitung gibt es Berichte von Teilnehmenden, Fotosammlungen und weitergehende Literatur. Einige Teilnehmenden kündigten an Veranstaltungen oder eigene Recherchen zu den Themen durchführen zu wollen. Außerdem ist ein Auswertungstreffen geplant sowie weitere kleine inhaltliche Angebote. Für Fragen stehen, die im Nachhinein auftreten, stehen die Begleiter:innen selbstverständlich zur Verfügung.

Die Reise wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk e.V. (IBB) gefördert.

Bericht nach Anika Taschke (RLS)