Unter dem Titel „DAS GUTE LEBEN AUF DEM LAND“ führten wir am 19. Oktober eine kommunalpolitische Fachtagung zur Zukunft der ländlichen Räume im Ökologischen Tagungszentrum in Verden durch. Organisiert wurde die Tagung, zu der über 70 kommunalpolitisch Aktive aus ganz Niedersachsen kamen, gemeinsam mit dem Linken Kommunalpolitischen Forum Niedersachsen e.V. (LKFN).
Eröffnet wurde die Tagung durch Victor Perli (Vorsitzender, RLS Niedersachsen), der die Bedeutung der Thematik für die linke Politik sowie für die politische Bildungsarbeit hervorhob. Für die RLS Niedersachsen war es die erste größere Veranstaltung, die sich exklusiv mit den Herausforderungen für die ländliche Fläche befasste. Für den Vorstand des LKFN eröffnete Daniel Josten. Dieser wies darauf hin, dass die Mehrheit der Menschen in Niedersachsen nicht in den großen Ballungsräumen sondern in Gemeinden, kleinen sowie mittelgroßen Städten lebe. Eine linke Politik für die Mehrheit der Menschen müsse dies berücksichtigen und Antworten auf drängende Fragen finden. Die Tagung sei hier ein erster Aufschlag.
Der erste Fachimpuls kam von Prof. Dr. Rainer Danielzyk (Generalsekretär und Leiter der Geschäftsstelle der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Leibniz-Forum für Raumwissenschaften, Universität Hannover). Rainer Danielzyk analysierte in seinem Vortrag die ENTWICKLUNG DER LÄNDLICHEN RÄUME IN DEUTSCHLAND und legte dabei einen besonderen Fokus auf Niedersachsen. Schnell wurde deutlich, dass sich nicht von dem einen ländlichen Raum sprechen lasse, vielmehr haben wir es mit sehr unterschiedlichen Entwicklungen zu tun. Ländliche Räume in Niedersachsen, die jetzt noch positiv dastehen, werden durch Abwanderung junger Menschen in der Zukunft Probleme bekommen. Mittelfristige Gewinnerinnen sein die universitätsgeprägten mittelgroßen Städte.
- Zum Vortrag: ENTWICKLUNG DER LÄNDLICHEN RÄUME IN DEUTSCHLAND
An den ersten Fachimpuls schloss Dr. Joachim Kadler (wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fraktion DIE LINKE im Bundestag) mit einem Beitrag über LINKE PERSPEKTIVEN FÜR DIE LÄNDLICHEN RÄUME an. Auch Joachim Kadler verwies darauf, dass ländlich nicht gleich wirtschaftsschwach und abgehängt und umgekehrt bedeute. In Niedersachsen seien bspw. gerade die kleinstädtischen Regionen eher wirtschaftsschwach. Kadler lieferte einen umfangreichen Überblick über EU-politische sowie bundespolitische Fördermaßnahmen für ländliche Räume, die jedoch oft ins Leere liefen. Linke Perspektiven für die ländlichen Räume müssten das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse sowie Chancengleichheit für ländliche Räume verfolgen. Hierzu verwies er auf ein breites Maßnahmenpaket: Kooperative Wirtschaftsformen und Wertschöpfung müssten vor Ort gefördert werden, nicht zuletzt, da lokal und regional eingebettete Ökonomien besonders für einen sozialökonomischen Wandel geeignet sein. Darüber hinaus bedürfe es massiver und zielgesteuerter Investitionen in eine bedarfsgerechte soziale und kulturelle Infrastruktur.
- Zum Vortrag: LINKE PERSPEKTIVEN FÜR DIE LÄNDLICHEN RÄUME
- Zum APPELL VON WITTENBERG
AG1: MOBILITÄT UND ÖFFENTLICHER PERSONENNAHVERKEHR
Der Referent Hans-Christian Friedrichs (Landesvorsitzender, VCD Niedersachsen) sowie der Moderator Herbert Behrens (Kommunalpolitiker und ehemaliger verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag) organisierten die Arbeitsgruppe sehr beteiligungsorientiert. Ausgangspunkt für die Arbeitsphase war die positive Vision, dass alle Menschen jederzeit und überall mit dem ÖPNV auf dem Land unterwegs sein könnten. Dem Erreichen dieser Vision stellen sich erfahrungsgemäß vielfache Hindernisse wie die Finanzierung oder schlichtweg der politische Wille entgegen. Dass es politisch allerdings nicht beim frommen Wunsch bleiben muss, zeigte die darauffolgende Diskussion um Modelle, Konzepte und Strategien.
Materialien:
AG2: GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DER LÄNDLICHEN FLÄCHE
Die Arbeitsgruppe wurde geleitet von Dr. Viola Schubert-Lehnhardt (Medizinethikerin und Sachverständige in der Enquete-Kommission Gesundheitsversorgung und Pflege des Landtags Sachsen-Anhalt) und moderiert von Michael Ohse (Kommunalpolitiker und Sprecher des LKFN). In einer Vorstellungsrunde wurden negative und positive Erfahrungen mit der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum gesammelt und diskutiert. Stichpunkte waren Krankenhausschließungen bzw. -privatisierungen, miserable Facharztversorgung, schlechte Vergütung in Pflegeeinrichtungen, schlechte Anbindungen im ÖPNV, keine Geburtsstationen bzw. Kinderkliniken. Immer wieder kamen Bundesthemen wie Budgets (DRGs) fehlendes Personal und keine (Mindest-) Personalschlüssel zur Sprache. Doch auch positive Aspekte wurden diskutiert, so z.B. die Übernahme von Krankenhäusern wieder in kommunale Trägerschaft (Diepholz), Rettung des KH Delmenhorst, Modellklinik für psychiatrische Versorgung und Beispiele von erfolgreicher Bündnispolitik auf kommunaler Ebene.
Zur Präsentation GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DER LÄNDLICHEN FLÄCHE
AG3: UMGANG MIT FOLGEN DER INTENSIVEN LANDWIRTSCHAFT
In dieser AG, die von Amira Mohamed Ali (MdB, Sprecherin für Tierschutz, Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft, DIE LINKE) und Christoph Podstawa (Kommunalpolitiker und Umweltaktivist) geliette wurde, beschäftigten sich die Teilnehmenden mit den Merkmalen der intensiven Landwirtschaft, ihrer Struktur in Niedersachsen und den Folgen für die Kommunen.
Die Teilnehmenden erfuhren, dass die Landwirtschaft in Niedersachsen regional sehr unterschiedlich ist. Anschließend wurden Möglichkeiten diskutiert, wie die Situation auf kommunaler Ebene verbessert werden kann. In der Diskussion um die Folgen befassten sich die Teilnehmenden schwerpunktmäßig mit den Auswirkungen der Massentierhaltung. Siestellten fest, dass in keinem anderen Bundesland mehr Verstöße gegen Tierschutzauflagen registriert werden. Durch die intensive Viehhaltung wird viel Gülle produziert, die für eine Überdüngung der Felder sorgt. Mais-Monokulturen und häufiger Pestizideinsatz sind zudem eine Gefahr für die Artenvielfalt. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass die Kommunalpolitik und die Bürgerinnen den Dialog mit der Landwirtschaft suchen müssen. Durch Besuche bei Landwirten und Anfragen im Kommunalparlament könne die Situation der Landwirtschaft vor Ort beleuchtet werden ("Wie viele Höfe mussten in der Vergangenheit aufgeben? Wie viele Tierschutzkontrollen führten die örtlichen Behörden durch? Ist die Kommune Verpächter landwirtschaftlicher Flächen?").
Mit Anträgen in den Kommunalparlamenten könne vor allem auf den Bezug regionaler und nachhaltig produzierter Produkte in öffentlichen Einrichtungen wie Kitas, Schulen und Krankenhäusern hingewirkt werden.
ABSCHLUSSRUNDE: ERGEBNISSE UND HERAUSFORDERUNGEN FÜR LINKE POLITIK
Im Plenum wurden nochmals die wichtigsten Ergebnisse der Arbeitsgruppen zusammengefasst und diskutiert. Felicitas Weck (Vorstand des LKFN) verwies darauf, dass die politische Linke Visionen und Strategien für die ländlichen Räume entwickeln müsse. Linke Politik orientiere sich häufig an urbanen und städtischen Themen und Bewegungen. Da in Deutschland – in Niedersachsen insbesondre – aber die Mehrheit der Menschen nicht in Metropolen und Ballungsregionen lebt, ist es dringend notwendig, hier künftig einen stärkeren Fokus drauf zu legen.
Für die Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen schloss Nils Merten (Bildungsreferent, RLS) mit den Möglichkeiten, die er hier auch in Formaten der politischen Bildung sieht. Die hohe Nachfrage an der Tagung zeige, dass es ein breites Interesse an dieser Thematik gebe und vielfach der Wunsch geäußert wurde, an den Themen dran zu bleiben. Als politisches Bildungswerk sehe man hier eine verpflichtende Aufgabe, kommunalpolitisch Aktive zu unterstützen und zu stärken. Diese Tagung könne nur ein erster Schritt sein, ein linkes Profil für die ländliche Raumpolitik zu entwickeln.
Die Tagung wurde mit einem großen Dank an alle kommunalpolitisch Aktiven in den ländlichen Räumen beendet, die auch bei oft widrigen Umständen, sich für eine fortschrittliche, solidarische und bürgernahe Politik in der Fläche einsetzen.